zondag, januari 31, 2010

Ex-Pater gesteht jahrelangen Missbrauch

Berliner Morgenpost
30. Januar 2010 22:42
Von Michael Behrendt, Peter Oldenburger und Katrin Schoelkopf

Der ehemalige Jesuiten-Pater Wolfgang St. hat zugegeben, über Jahre Schüler missbraucht zu haben. Das sagte der 65-Jährige, der heute in Südamerika lebt, dem Magazin "Der Spiegel". Der zweite Beschuldigte, Peter R. aus Berlin, streitet hingegen alle Vorwürfe ab.

Im Missbrauch-Skandal am Berliner Canisius-Kolleg hat einer der beschuldigten ehemaligen Jesuiten-Patres seine Schuld gestanden. Wolfgang St., der seit den 80er-Jahren in Südamerika lebt, räumte laut dem „Spiegel“ in einer Erklärung an seine Opfer die Taten ein. Es sei „eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe“. Daran sei „nichts zu entschuldigen“, heißt es demnach in dem Schreiben.

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Nach Informationen von Morgenpost Online bereitet St. seine Rückkehr aus Chile nach Deutschland vor. Der offizielle Vertreter des Kolpingwerks für Lateinamerika, Luis E.D. Soffia, sagte, der 65-Jährige sei aus der Erwachsenenbildung seiner Organisation ausgeschieden und werde am 12. Februar in sein Heimatland zurückkehren. Nähere Gründe dafür seien ihm nicht bekannt. Wolfgang St. habe laut Soffia die vergangenen Jahre in der Hauptstadt Santiago de Chile als Manager ein Hotel für Studenten geleitet. Von den Missbrauchsvorwürfen zeigte sich der Kolping-Vertreter überrascht. Soffia erklärte, er habe mehrfach in dienstlichen Angelegenheiten mit St. Kontakt gehabt und beschreibt den 65-Jährigen als netten Mann, der bei jedermann beliebt gewesen sei.


Wolfgang St. hat mittlerweile geheiratet und ein Kind
Pater Wolfgang St. habe bis Ende des vergangenen Jahres bei der Sozial- und Entwicklungshilfe des katholischen Sozialverbandes Kolpingwerk in Chile gearbeitet, sagte am Sonnabend der Geschäftsführer der Sozial- und Entwicklungshilfe des Kolpingwerkes, Hans Drolshagen. „Er hat es verlassen, weil er mit 65 in Rente ging. Wir haben von den Missbrauchsbeschuldigungen erst am Donnerstag durch Anrufe der Presse erfahren.“ St., der „ungefähr zehn Jahre“ beim Kolpingwerk gearbeitet habe, sei nie auffällig geworden. „Wenn das alles so stimmt, ist das fürchterlich und eine Katastrophe“, sagte Drolshagen. „Das wird juristisch aufgearbeitet werden müssen.“

St. sei zuständig für die Erwachsenenbildung in Chile und auch in anderen Ländern gewesen und habe sich vor circa zehn Jahren beim Kolpingwerk auf eine entsprechende Stelle beworben. „Als er bei uns anfing, lebte er schon in Chile, war aus dem Orden ausgetreten, also kein Priester mehr, und mit einer Chilenin verheiratet“, so Drolshagen. „Er hat ein zwölf- oder dreizehnjähriges Kind.“ Solange es keine Ergebnisse einer juristischen Aufarbeitung gebe, wolle Drolshagen sich einer Bewertung von St. und der Missbrauchsanschuldigungen enthalten.

St.s Frau erklärte am Sonnabend Morgenpost Online, ihr Mann sei nicht zu sprechen. Aus seinem Schreiben, über das der Leiter des Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, von der Mediatorin Ursula Raue informiert wurde, geht hervor, dass Wolfgang St. bereits 1991 seinen „damaligen deutschen Provinzialoberen eingehend über meine verbrecherische Vergangenheit informiert“ habe. Somit muss der Jesuitenorden seit etwa 19 Jahren von dem vielfachen Missbrauch gewusst haben. Dies habe Stefan Dartmann, der heutige Provinzial der Jesuiten in Deutschland, dem Magazin bestätigt.

Da die Opfer seinerzeit um absolute Diskretion gebeten hätten, sei erst jetzt „mit dem Hervortreten einiger Opfer“ ein Untersuchungsverfahren zur vollständigen Aufklärung der Missbrauchsfälle möglich und zwingend. Es gehe darum, welches Wissen es seinerzeit um die Vorfälle bei den Verantwortlichen am Canisius-Kolleg und dem Jesuitenorden gegeben habe. „Zusammen mit Pater Klaus Mertes, dem Rektor des Kollegs, teile ich die Trauer und Scham über die Verbrechen unserer ehemaligen Mitbrüder“, so Dartmann. Der Provinzial kündigte für Montag seinen Besuch in Berlin an. Er werde dann weitere Auskünfte geben.

Man habe jetzt eine Anwältin mit einer Prüfung der Akten beauftragt, „um festzustellen, was genau die Jesuiten damals wussten und welche Konsequenzen erfolgten“. St. soll auch an anderen Jesuitenschulen in Deutschland Jungen missbraucht haben, was er heute nicht kommentieren will. Unter anderem war er an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule und von 1982 bis 1984 in St. Blasien im Südschwarzwald tätig.

Auch der Vatikan war über die Verfehlungen im Bilde
Dem damaligen Schuldirektor Pater Hans-Joachim Martin war seinerzeit das „innige, väterliche Verhalten“ des Pädagogen zu einigen Schülern aufgefallen. St. musste später das Gymnasium verlassen. Auch der Vatikan war laut St. über die Verfehlungen im Bilde.

Mehrere Opfer reagierten entsetzt auf den Tonfall des Schreibens von St. In dem Dokument vom 20. Januar, wandte er sich „an alle Personen, die ich als Kinder und Jugendliche missbraucht habe“. Wörtlich heißt es: „Was ich dir und euch angetan habe, tut mir leid. Und falls du fähig bist, mir diese Schuld zu vergeben, bitte ich darum.“

Bei dem zweiten Beschuldigten handelt es sich um den 69-jährigen ehemaligen Religionslehrer Peter R. aus Berlin, der im Gegensatz zu St. vor Vertretern des Canisius-Kollegs sämtliche Vorwürfe bestreitet. Einer der von Peter R. missbrauchten Schüler hat sich jetzt in einem Internet-Forum als Betroffener geoutet und freimütig von den Taten des ehemaligen Paters berichtet. Der frühere Canisius-Schüler erzählt von einem Bett, das sich im „Burg“ genannten Gebäude des Kollegs befand. Davor hätten Schüler von R. kniend masturbieren sollen. Wer „seine Sache“ gut gemacht habe, dem habe der Pater eine Schallplatte geschenkt.

Auf Lehrer R., der nach seiner Berliner Zeit im südlichen Niedersachsen als Seelsorger in der Jugendarbeit wirkte, soll vor einigen Jahren eine Messerattacke verübt worden sein. Bei dem mutmaßlichen Angreifer soll es sich um einen ehemaligen Schüler des Canisius-Kollegs gehandelt haben.

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